Das künstlerische und medizinische Sehen

Sep 25, 2012         Kategorie: Medizin

Am 26. September 2012 informieren Expertinnen und Experten im Wiener Rathaus Interessierte, Betroffene und Angehörige über Augenerkrankungen und Sehbehinderungen.
Mehr als 43 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher sind von Sehstörungen verschiedenster Art betroffen.
Anlässlich des 3. Wiener Augentages im Rathaus gibt es heute einen Bericht über den Südtiroler Maler und Bildhauer Andreas Zingerle.

Brauchen wir alle eine Augenprothese? 

Wir sind Augenwesen. Die Schönheit wie auch die Abgründe dieser Welt betrachten wir mit unseren gesunden Augen. Was ist, wenn das Augenlicht schwindet oder immerwährende Nacht eintritt? Für Ärzte ist Sehen wohl unabdingbar. Erblindete Ärzte können ihren Beruf in der Regel nicht mehr ausüben. Erblinden bedeutet für einen Arzt Invalidität.
ArztZeit will am 3. Wiener Augentag aber nicht nur die Unbedingtheit des ärztlichen Sehens oder das Sehen per se betonen, sondern die Kunst des ärztlichen Blickes mit der bildenden Kunst – und zwar mit jener von Maler und Bildhauer Andreas Zingerle – verbinden.

Die medizinische „Kunst“ braucht einen klaren Blick, einen der nicht nur die Oberfläche begrenzt, sondern die Tiefe wie auch das Hintergründige mit einbezieht. Das ärztliche Sehen hat somit viele Dimensionen. Schon ein erster Blick in die Augen des Patienten, auf eine Wunde oder auf die Haut, die Körperhaltung oder einfach auf das Gesamte seines Gegenübers sagt oft schon alles – eben aus der Sicht des Arztes. Ärzte sind es auch gewohnt ins Innere zu schauen – Gebiete, die anderen verborgen bleiben – sei es im Zuge einer Operation, einer endoskopischen Untersuchung oder mittels bildgebender Verfahren. Der Blick und die Interpretation des Gesehenen entscheidet über Gesundung oder Krankheit – nicht selten über Leben oder Tod.

Andreas Zingerle hat den Körper zu seinen künstlerischen Interpretationen auserkoren. Seine „Augenprothese“ ist wohl mehr als nur eine Interpretation einer menschlichen Missbildung, die eben zum Einsetzen einer Augenprothese führen kann. Das Kunstwerk weist in seiner Perfektion auf die Unvollkommenheit des Menschen hin – und das muss „ersehen“ werden. So ist Zingerles Augenprothese ein Widerspruch in sich, ist doch die Prothese Ausdruck des Nichtsehens, der Blindheit eben – und doch will sie als Kunstwerk wahrgenommen werden, um eben auf diese Blindheit hinzuweisen. Zingerles Kunstwerk gibt der Blindheit ein Symbol wie auch gleichzeitig Hoffnung, denn eine Prothese ist ein Werkzeug, ein Hilfswerkzeug zur Wiedererlangung von verlorenen Fähigkeiten. Zingerles Kunstwerk aus kalten harten Beton lässt aber das Sehen in einem weiteren Sinne „klarer“ werden. Ob man will oder nicht führt die Ikonologie den Betrachter zur Härte und Kälte einer gesellschaftlichen Betrachtung dieser Welt, die vielleicht oder bestimmt eine Prothese braucht, um das Wirkliche und Schöne in dieser Welt, im anderen oder in uns selbst wieder erkennen zu können. Vielleicht benötigen wir alle so eine „Augenprothese“, die dem eigentlichen Sehen wieder eine wahre Kraft gibt – egal, ob wir Mediziner oder Patienten sind.

Prothese 2012 160x160x240 cm
Foto: Privat/Andreas Zingerle
Website von Maler und Bildhauer Andreas Zingerle: www.zingerleandreas.com

www.ArztZeit.at.