König Patient

Jan 4, 2012         Kategorie: Marketing, Politik + Wirtschaft, Steuer + Recht


Servicekultur muss sich auch in Arztpraxen durchsetzen
Den Begriff Servicekultur ist im Gesundheitsbereich kaum bekannt. Die Patienten kommen aus einer persönlichen Notwendigkeit zu den Ärzte – schließlich sind sie krank. Allerdings müssen sich immer mehr Ärzte aktiv um Patienten bemühen, weil sie entweder ihren Umsatz halten wollen, weil sie Wahlärzte sind oder weil sich Konkurrenz entwickelt hat. Privatkrankenhäuser wissen als Unternehmer da schon eher Bescheid. Für die ist Servicekultur Umsatzbringer, Patientenbindungs- wie auch Imageinstrument und sorgt für die Existenzsicherung der Klinik.

Wenig Servicebewusstsein
Die Unternehmensberatung spot4you hat viele Erfahrungen zum Thema Servicekultur gesammelt und bietet dazu auch Lösungen an. Für Mag. Marie Th. Radinger ist Servicekultur nicht nur eine Notwendigkeit für Großunternehmen, sondern auch für kleine Arztpraxen ein „must to do“. „Viele Ordinationen sind Abwicklungsstellen und keine Dienstleister. Die Gefahr, dass Patienten – wenn es z.B. Alternativen gibt – abwandern ist groß, den Ärzten aber in der Regel nicht bewusst.“ Patientenbindungsprogramme sind in Arztpraxen weitestgehend unbekannt und auch Maßnahmen zu einer systestemtischen Servicekultur stellen eher die Ausnahme dar, führt die Experten weiter aus.

Ärzte sind Dienstleister
Nach wie vor gibt es dazu eine kontroversielle Diskussion. Der ehemalige deutsche Bundespräsident Johannes Rau meine einmal:
„Gesundheit ist keine Ware, Ärzte sind keine Anbieter und Patienten sind keine Kunden.“ Experten sind schon lange anderer Ansicht. Für diese unterliegen die Gesundheitssysteme einem grundlegenden Wandel. Buchautor Gerhard Rogler meint dazu: Neben anderen Kennzeichen, wie einer weitreichenden Probabilisierung der Medizin, also der Entscheidung und diagnostischen Vorgehensweisen oder zu therapeutischen Maßnahmen aufgrund von statistischen Wahrscheinlichkeiten, ist dieser Wandel vor allem von einer zunehmenden Ökonomisierung bestimmt.“ Als äußere Zeichen sieht Roger z.B. die Priatisierung von Kliniken oder deren Verkauf an große Klinikketten wie auch die Umdetung der Rolle des Arztes als Dienstleister und der des Patienten als Kunden.

Indizien für einen Wertewandel gibt es zur Genüge. Die Werbemaßnahmen einiger Zahnärzte, formatfüllende Medienberichte über Beauty-Medizin, die PRKampagnen über neue Behandlungsmethoden,  die Konkurrenz zwischen Schul- und Komplimentärmedizin sind nur einige Beispiele auf seinten der Anbieter. Aber auch Rahmenbedingungen tragen zum Wertewandel bei. Je mehr der Patient selber zahlen muss, desto kritischer wird er dem Leistungserbringer gegenüber. Wahlärzten ist das längst bewusst, aber auch Kassenärzte, die SVA oder Beamte betreuen, wissen darüber Bescheid, dass solche Patienten – schon alleine durch den zu zahlenden Selbstbehalt – andere Erwartungen haben.

„Service ist die Qualität Ihrer Dienstleistung!“ mahnt Vinzenz Baldus, ausgewiesener Service-Experte und renommierter Business- Coach. Für ihn bedeutet Service weit mehr als nur das „kleine Extra“, das nichts kostet, mehr als ein freundliches Lächeln, ein Cappucino in der Ordination oder der Bring- und Holservice für Senioren. Denn immer mehr Unternehmen erkennen, dass ihre individuelle Service-Strategie der wichtigste Wettbewerbsfaktor der Zukunft sein wird. Das gilt zweifellos ebenso für den Gesundheitsbereich und somit auch für die Arztpraxis.

Schlechte Beispiele gibt es genug

Rechthaberisch
Die Ordnationsiassistentin ist zwar schon seit elf Jahren ihrem Arzt treu, sie fällt aber immer wieder mit schullehrerhaften Aussagen gegenüber den Patienten aus der Rolle. Ihr herablassender Befehlston hat schon mehrere Beschwerden verursacht. Der gütliche Arzt sah aber über Jahre keinen Handlungsbedarf, konnte viel ausgleichen, aber letztendlich kamen viele Patienten einfach nicht mehr.

Rücksichtslos
Die attraktive Odinationshilfe zeigte sich selbstbewusst. So ließ sie imer wieder PatientInnen warten, wenn sie öffentlich und für jeden hörbar Privattelefonate führte.

Launisch
Ihre privaten Probleme nahm die Empfangsassistentin in die Ordination mit, war am Telefon wie auch im persönlichen Gespräch launisch und unfreundlich.

Spot4you hat Patienten befragt und auch eigene Beobachtungen durchgeführt und Defizite festgestellt. Zwar gibt es nach wie vor eine hohe Patientenzufriedenheit gegenüber den Ärzten, aber die Ordinationen insgesamt bietet wenig Service. „Solange alle die gleiche unterdurchschnittliche Servicequalität bieten, ist der Patient genügsam, aber Privatkliniken wie auch Wahlärzte oder auch jüngere Ärzte, die im Wettbewerb stehen, reüssieren bereits mittels einer strategisch begründete Servicekultur.“

Die steigende Kritikfähigkeit der Konsumenten trägt ebenso dazu bei, dass die Anforderungen steigen. So z.B. klagen immer mehr Patienten ihre Ärzte auf Schadenersatz – manchmal wegen Kleinigkeiten. Derartiges war über Jahrzehnte ein Tabu, heute ist es schon beinahe eine Selbstverständlichkeit.

Eigenerfahrungen scheinen nicht zu zählen
Ärzte gehören in vielen Branchen zu den sogenannten kritischen Kunden. Sie erwarten mehr, sind aufklärungsbedürftiger, Freundlichkeit sehen sie als Selbstverständlichkeit an und wenn das Service nicht passt, sind sie mit Kritik sehr schnell. Oft genug werden also auch Ärzte mit schlechtem oder vielleicht nur durchschnittlichem Service konfrontiert. Den Mediziner bleiben negative Beispiel im Gedächtnis und sie geben solche Erfahrungen auch weiter – an Freunde, Bekannte wie auch KollegInnen. Hingegen verblassen neutrale Erfahrungen rasch wieder und Positives wird als selbstverständlich angenommen. Ärzte erwarten sich – vielleicht mehr als ander – eine perfekte Servicekultur. Können sie aber selbst diese Qualitätserwartungen gegenüber ihren PatientInnen erfüllen? Sehen Mediziner ihr Klientel als „König“?

Welcher König würde ein paar Wochen auf einen Termin warten? Welche Majestät würde zwei Stunden in einem Wartezimmer verbringen? Welche Exzellenz würde sich wegen eines Rezeptes in einer Schlange anstellen? Welche königliche Hochheit würde minutenlang am Telefon warten, bis jemand abhebt? Würden die Ärzte selbst als „König Kunde“ solches akzeptieren – wohl kaum. Diese Beispiele sind nur ein kleiner Auszug aus dem Alltag einer Service-Unkultur in Arztpraxen.

Gute Absichten
Wohl gibt es Ärzte, die versuchen ihre Situation – wenn es z.B. wirtschaftliche Auswirkungen gibt – zu verbessern. Manche Änderungen lassen sich schnell umsetzen. Servicekulur ist aber – so die Expertin Marie Th. Radinger – nicht nur ein Schalter, den man nur umlegen muss, sondern eine strategische Position, die einerseits Schritt-für-Schritt-Maßnahmen wie auch eine permanente Pflege braucht. Servicekultur ist auch nicht Sache einer Einzelperson – sondern muss von allen mitgetragen werden – also vom Arzt bis zur Ordinationshilfe.

In der Praxis funktioniert die Etablierung einer Servicekultur nur mit Systematik, nicht aber mit spontan ausgewählten Maßnahmen. Einen Patienten ab und zu mit einer netten Geste zu erfreuen, ist zu wenig. Es geht vielmehr um einen geplanten, exzellenten Service, der unabhängig von der Laune des jeweiligen Mitarbeiters ist. Selbstverständlich kann und sollte der Patient positiv überrascht werden, während alle Mitarbeiter der Ordination immer genau wissen müssen, was ihr Beitrag in punkto Service ist. Verständlicherweise reichen allgemeine Aufforderungen der Art „Wir sind immer freundlich zu unseren Kunden“, beispielsweise niedergelegt in einem entsprechenden Handbuch, nicht aus. Nötig sind stattdessen konkrete, detaillierte und vor allem auf die jeweilige Praxis zugeschnittene Spielregeln und Abläufe.

Konkrete Leitlinien definieren
Die Themenpalette ist breit und geht über eine allgemeine Freundlichkeit weit hinaus. Patienten „erspüren“ das Positvie genauso wie das Negative. Deshalb ist Servicekultur eine Frage der Einstellung und der Praxisphilosophie und muss von allen mitgetragen werden. Natürlich gibt es auch Tools, die es einzusetzen gilt. Solche sind – am besten mit professoneller Hilfe – zu erarbeiten, aber mehr noch, müssen sie verinnerlicht werden und dazu ist noch viel mehr eine professionelle Hilfe nötig.

Es geht um mehr
Ärzte sind dazu da, um PatientInnen zu gesunden und zu heilen. Schon alleine dafür ist eine Servicekultur notwendig, weil nur in einem emotional ansprechenden und wertschätzenden Umfeld Heilung möglich ist. Aber Ärzte haben auch ein Anrecht auf ein gutes Einkommen und auch hier ist die Servicekultur Maß der Dinge. Manche gehen sogar noch weiter und meinen wie Marie Th. Radinger, dass Servicekultur auch der Existenzsicherung dient. Servicekultur ist auch die Basis für das wohl wichtigste Marketingtool – der Empfehlung – also der Mund-zu-Mund-Propaganda.

Nicht delegierbar
Das gesamte Team ist aufgefordert Servicekultur zu leben. Dazu die Unternehmensberaterin Sabine Hübner: „Nur wer die Servicekultur selbst mit geschaffen hat, der wird sich hundertprozentig mit ihr identifizieren und sie mit Leidenschaft in Taten umsetzen. Servicekultur steht und fällt aber vor allem mit der Vorbildfunktion der Führungskräfte bis hin zum Geschäftsführer. (also der Praxisinhaber) Akzeptiert werden letztlich nur Grundsätze, welche auch die Vorgesetzten (also der Arzt) konsequent mittragen, ja vorleben.

Ärzte, die ihrem Team strikte Vorgaben geben, aber dann beim Eintreten des Patienten sitzen bleiben und sich mit dem Computer beschäftigen, anstatt dem „König Patient“ vollste Aufmerksamkeit zu schenken, werden scheitern.

Nachhaltigkeit sichern 
Einmalaktionen und Aktionismus haben bei der Servicekultur nichts zu suchen. Sercicekultur ist deshalb keine alleiniges Beratungs- und Marketingthema, sondern hat auch einen psychologischen Bezug über den Nachhaltigkeit erzeugt werden kann – und nur eine solche sichert den Erfolg.

„Ist die Umsetzung der Service- Philosophie in die Wege geleitet, muss die Nachhaltigkeit gesichert werden. Das erfordert eine Systematisierung der Erfolgskontrolle, die allein garantiert, dass aus dem Projekt Servicekultur eine permanent wirksame Grundhaltung wird“ – so Sabine Hübner. Der Spezialist für Service-Kultur in Österreich ist Spot4you. Die Firma bietet sowohl spezielle Seminare für Ordinationsteams wie auch offene Seminar, priorisiert aber die interne Ausbildung.

Foto: 123rf/Raths und Nekrassov

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